Ein gutes halbes Jahr ist es nun her, seit Microsoft mit der Ankündigung des Flight Simulator 2020 eine regelrechte Bombe platzen ließ (Wir berichteten). Seitdem wurden von offizieller Seite immer wieder zahlreiche Informationen gestreut, in der Community aber vor allem wild spekuliert. Deshalb haben wir in diesem Artikel probiert, alle bislang verfügbaren Fakten über den neuen Microsoft Flight Simulator zu sammeln.
Microsoft und der Flugsimulator: Diese Geschichte verlief im vergangenen Jahrzehnt durchaus holprig und erschien zum Schluss als endgültig erledigt. Nachdem im Jahr 2006 der FSX erschien, gab es dann nur noch schlechte Nachrichten. 2009 schloss Microsoft die für die Entwicklung der Simulator-Reihe verantwortlichen ACES Studios. Der trostlose Versuch, mit einem Flugspiel namens Microsoft Flight an alte Erfolge anzuknüpfen, scheiterte kläglich. Und dann: Wurde es ruhig.
Der Softwaregigant verschacherte im Anschluss die Lizenzen an Lockheed Martin und Dovetail Games. Der US-Rüstungskonzern erstellte dann mit Prepar3D durchaus so etwas wie einen FSX-Nachfolger. Die Spielefirma Dovetail Games, welche die Unterhaltungslizenz des Flugsimulators erworben hatte, feierte mit der FSX:Steam Edition vermutlich einen finanziellen Erfolg. Der eigener Flugsimulator-Versuch Flight Sim World scheiterte aber ebenso brutal wie seinerzeit das Flugspiel Microsoft Flight.
Dass Totgesagte länger leben, dürfte sich dann im Juni 2019 erneut bewahrheitet haben. Da bog der Softwarekonzern aus Redmond nämlich mit einer richtigen Überraschung um die Ecke. Und die hatte es in sich: Mit dem Microsoft Flight Simulator 2020 soll es noch in diesem Jahr ein Comeback geben.
Das Entwicklerteam
Zuständig für die Entwicklung des neuen Flugsimulators von Microsoft ist das französische Game-Studio Asobo aus Bordeaux. Asobo hat bereits in der Vergangenheit Spiele für Microsoft entwickelt und arbeitet jetzt seit nunmehr dreieinhalb Jahren mit knapp 150 Personen an der Entwicklung des Simulators. In einem Interview mit Golem erklärt Jörg Neumann, der Projektleiter des neuen Microsoft Flight Simulator, die Entstehungsgeschichte.
Demnach gehe der neue Flugsimulator auf ein Programm mit dem Namen Holo Tour zurück, das Teile der Welt als dreidimensionale Nachbildung für die Virtual-Reality-Brille HoloLens von Microsoft darstellen konnte. Am besten wirkte das Ergebnis offenbar aus der Vogelperspektive. So war die Idee eines neuen Flugsimulators geboren. Darüber hinaus seien neue Möglichkeiten wie Clouds und Big Data ebenfalls ausschlaggebend für das Projekt gewesen. Schlussendlich habe es mit Asobo auch wieder ein Entwicklerteam für den neuen Flugsimulator gegeben. Die Aces-Studios hatte Microsoft schließlich im Jahr 2009 dicht gemacht.
Die Landschaft im Microsoft Flight Simulator
Einer der erstaunlichsten Bereiche des neuen Microsoft Flight Simulator wird zweifelsohne die Landschaft sein. Über eine enorme Menge an Kartendaten der Microsoft-Tochter Bing soll ein dreidimensionales Abbild der Erdoberfläche in einem nie dagewesenen Detailgrad generiert werden. Dafür verwendet Asobo zwei Petabyte an Daten, das sind unfassbare zwei Millionen Gigabyte. Diese Datenmengen setzen sich zusammen aus mehr als zwei Millionen Städten auf der Erde, weltweiten Höhendaten, Straßen, individuellen Landschaftsmerkmalen und Sehenswürdigkeiten sowie den über 45.000 Flughäfen auf dieser Welt.
Dabei kommen drei verschiedene Datenquellen zum Einsatz. Erstens gibt es Satellitenbilder mit einer Auflösung von 30xm/Pixel. Dazu kommen Luftbilder (Aerials) mit einer Auflösung von 5cm/Pixel sowie Photogrammetrie-Daten für über 400 Städte weltweit. Dabei bezeichnet das Wort Photogrammetrie ein Verfahren, bei dem vereinfacht gesagt Luftbilder aus verschiedenen Perspektiven aufgenommen und anschließend von einem Computer zu einem akkuraten 3d-Gitternetz zusammengerechnet werden. Wie das funktioniert, könnt ihr in diesem Video sehen.
Sofern keine akkuraten Photogrammetrie-Daten zur Verfügung stehen, generiert Microsoft Gebäude und Bäume mit Hilfe von künstlicher Intelligenz über Azure AI. Selbst ohne 3d-Daten sollen dadurch alle Bäume und Häuser an ihrer korrekten Stelle stehen. Ein Projektmitarbeiter hat offenbar sogar einen Doktortitel für die Nachbildung von Dächern, wie Jörg Neumann in einem Interview für IGN erzählte.
Streaming über die Cloud
Aufgrund der enormen Datenmengen steht man insgesamt vor einigen sehr großen Problemen. Zum einen hat wohl kaum ein normaler Flugsimulator-Kunde die Möglichkeit, so viele Daten bei sich zu Hause zu speichern. Und selbst wenn, bräuchte es vermutlich LKW-Ladungen voll mit Festplatten, um den Simulator in seiner Gänze zum Kunden nach Hause zu bringen. Zum anderen erfordert allein die Anbindung an die Azure-Cloud ein permanentes Daten-Streaming. Und das ist zugleich auch die Lösung. Microsoft wird also die hochdetaillierten Szenerie-Daten live in den Simulator hinein streamen.
Da das mit dem Internet und dessen Übertragungsgeschwindigkeit jedoch manchmal so eine Sache ist, prüft die Anwendung zunächst die Qualität des örtlichen Anschlusses. Eine bessere Internetleitung wird somit einen höheren Detailgrad ergeben. Wohnt man ausgerechnet irgendwo in Deutschland an einer unbedeutenden Milchkanne, ist die Darstellungsqualität entsprechend abgespeckt. Zudem soll es auch eine reine Offline-Version geben, die dann allerdings nur über generische Bodentexturen, Autogen-Gebäuden, Seen, Meere und Bäume verfügt. Wer lange im Voraus weiß, wann er wo im Flugsimulator unterwegs sein möchte, der soll die Daten bereits vorab herunterladen können.
Weitere prozedural erstellte Details, die in den Simulator und sein Landschaftsbild einfließen, sind Dreck, Asphalt, Wassereffekte, vom Wind erzeugte Wellen, Straßenbeleuchtung bei Nacht, Gebäudedetails sowie sogar dreidimensionales Gras.
Die Atmosphäre und das Wetter
Das erste Mal soll es im Microsoft Flight Simulator 2020 auch eine richtige Simulation der Atmosphäre geben. Diese umfasst zum Beispiel eine komplett neu entwickelte Wetterengine. Hierbei werden aus bis zu 32 Wolkenschichten dargestellt. Diese reichen von der Meeresoberfläche offenbar bis zur Tropopause. Jörg Neumann sagte dazu in einem Interview: Wir haben Daten bis zu 65.000 Fuß. Mit diesem System soll es möglich sein, sämtliche Wolkenarten darzustellen, die es in der Realität gibt. Diese sollen dann auch von atmosphärischen Bedingungen beeinflusst werden, zum Beispiel von Winden.
Neben den Wolken wird es volumetrischen Regen sowie Regenbögen geben. Man hat sogar sehr viel Mühe investiert, Regentropfen und ihr Verhalten auf den Scheiben des Flugzeugs entsprechend der Fluggeschwindigkeit möglichst realistisch darzustellen.
Ergänzt wird das Wetter durch Lichtquellen, die alle miteinander verbunden sind. Egal ob Sonnenlicht, Mondlicht, das Licht der Sterne oder künstliches Licht, das von der Erdoberfläche ausgeht. Alles soll zusammen einen authentischen Look erzeugen. Ihr Übriges tun Sonnenstand und Mondstand, die jeweils dynamisch nach Jahreszeit und aktuellem Standort auf der Erde berechnet werden. Die Tageszeit sowie das Wetter sollen während des Betriebs live beeinflussbar sein. Auch eine Online-Synchronisation des Wetters soll weiterhin möglich sein.
Die Aerodynamik im Microsoft Flight Simulator
Der Code der Aerodynamik des Microsoft Flight Simulator 2020 stammt zwar aus früheren FS-Versionen, soll aber sehr stark verbessert und in Teilen auch neu entwickelt worden sein. Während der FSX das Flugmodell nur an einem einzigen Punkt in der Mitte des Flugzeugs berechnet, sollen es beim neuen Microsoft Flight Simulator ganze 1.000 Punkte sein. Wenn also zum Beispiel das rechte Triebwerk in eine Wolke eintaucht, werden die Turbulenzen auf der rechten Seite deutlich stärker ausfallen als auf der linken.
Zusätzlich verspricht Microsoft eine realistische Simulation der Luftströmung. Dabei sollen Faktoren wie die atmosphärischer Bedingungen, die Flächen von Flugzeugen und deren Oberfläche, die Topographie der Landschaft (zum Beispiel Berge), Bebauung und Wolken in die Berechnung der Flugdynamiken einfließen. Auch an der Bodenphysik wurde gearbeitet. So erlaubt die Physik-Engine nun ein realistisches Landen auf schrägen Oberflächen. Zudem sorgt eine Überarbeitung der Reibung an den Reifen der Flugzeuge für noch mehr Realismus auf verschiedenstem Untergrund, egal ob Beton, Asphalt oder Gras. Optisch sichtbare Vereisungseffekte haben die Entwickler ebenfalls implementiert.
Um ein möglichst flüssiges Flugerlebnis zu gewährleisten, hat Asoso außerdem die Simulation des Flugmodells vom restlichen Flugsimulator entkoppelt. Selbst bei niedrigen Bildwiederholungsraten im Simulator soll das Flugmodell weiterhin mit deutlich mehr Frames laufen. Dadurch verhalten sich die Flugzeuge exakt so, wie sie sollen – unabhängig von der aktuellen Bildwiederholungsrate.
Trotz der zahlreichen Neuerungen bleibe der alte Code aus früheren Simulator-Versionen erhalten und nach Wahl auch nutzbar. Man wolle niemanden zwingen, auf die neue Flugphysik wechseln zu müssen, so Sebastian Wloch von Asobo.
Die Flugzeuge
Aktuell hat Microsoft die folgenden Flugzeugmodelle angekündigt oder in Vorschauvideos gezeigt: Airbus A320neo, Boeing 747–8, Cessna 172 Skyhawk, Cessna 208 Grand Caravan, Cessna Citation CJ4, CubCrafters Xcub, Daher TBM 930, Diamond DA62, Icon A5, Mudry CAP 10 und Robin DR 400.
Neben Flugzeugen mit den gewohnten analogen Instrumenten soll es nun auch Standard-Flieger mit vollwertigem Glascockpit mit einem funktionsfähigen Synthetic Vision System (SVS) geben. Für die Darstellung der Glascockpits hat Asobo nach eigener Aussage eine komplett neue Engine entwickelt. Im Cockpit der TBM 930 sind neuartige Touch-Controller verbaut. Die Boeing 747–8 hat Jörg Neumann zufolge auch einen funktionieren Flugcomputer. Standardisierte An- und Abflugprozeduren (SIDs/STARs) sind ebenso implementiert wie interaktive Checklisten.
Eine möglichst hohe Kompatibilität zu externer Hardware soll zudem gewährleisten, dass sogar Home-Cockpits sehr einfach mit der Standard-Ausführung des Flugsimulators realisierbar sind. Außerdem sind einige Cockpits aus Laser-Scans entstanden, oder die Entwickler hatten Zugang zu 3d-Daten der Flugzeughersteller.
Insgesamt arbeitet der neue Flusi mit modernen Grafikeffekten wie zum Beispiel Screen Space Ambient Occlusion, Reflektionen, 4k-Texturen und vielem mehr. Eine dynamische Kamera, die durch G-Kräfte beeinflusste Kopfbewegungen simuliert, soll zudem für ein realistisches Fluggefühl sorgen.
Die Klangwelt im Microsoft Flight Simulator 2020
Asobo hat dem Microsoft Flight Simulator 2020 eine komplett neue Sound-Engine auf Basis der Software Audiokinetic Wwise spendiert. Gleichwohl soll die Rückwärtskompatibilität zu vorherigen Flugsimulator-Versionen auch hier gewährleistet sein.
Alle Flugzeug-Sounds stammen nach Angaben der Entwickler von Aufnahmen der realen Maschinen. Dafür habe man mit den Herstellern zusammengearbeitet. Das Ergebnis soll ein immersiver 3d-Sound mit insgesamt 16 Kanälen sein. Dazu kommen dynamische Soundeffekte, etwa beim Aufsetzen der Maschine. Wer sein Flugzeug regelrecht auf die Landebahn prügelt, darf sich also nicht über einen lauten Rumms wundern.
Zusätzlich sollen auch die Bewegungsgeräusche der Flugzeuge sowie das Rauschen des Windes hörbar sein. Ambient-Sounds in der Landschaft verändern sich laut Asobo je nach Tageszeit und geografischer Region – die afrikanische Savanne klingt anders als die weiten Wälder Alaskas. Abgerundet werden soll das mit dynamischen Audio-System für Regen und Sturm, denn die Sounds sind mit diversen Variablen für das Wetter verbunden.
Weitere geplante Funktionen
Welche Funktionen Asobo und Microsoft in Zukunft noch implementieren wollen, ist derzeit unklar. Laut eigener Aussage nehmen sich die Entwickler aber die zahlreichen Rückmeldungen aus der Community zu Herzen. Und da stehen die folgenden sechs Punkte ganz oben auf der Wunschliste: AI-Traffic, Air Traffic Control, Hubschrauber, Jahreszeiten, Shared Cockpit sowie die Unterstützung von Virtual Reality und Track IR.
Zumindest bei den Jahreszeiten scheint sich aktuell etwas zu tun. Denn am Neujahrstag hat Microsoft ein Video veröffentlicht, in dem diverse Winterlandschaften zu sehen sind. Auch die Dächer in New York City und Paris färben sich darin weiß, ebenso wie die Bäume in Manhatten.
Verfügbarkeit, Preis und Systemanforderungen
Wann der Microsoft Flight Simulator 2020 erhältlich sein soll, ist aktuell noch offen. Einige Nutzer haben allerdings schon Zugang zur Alpha-Version und können dadurch eine Vorab-Version des Simulators testen. Zwar hat sich Microsoft bislang nicht zum Preis des Produkts geäußert, ein paar Anhaltspunkte liefert aber ein Interview mit Jörg Neumann in der argentinischen Tageszeitung La Nación.
Dort sagt der Projektleiter, dass der Microsoft Flight Simulator entweder als Einzelkauf oder im Rahmen des Xbox Game Pass, einem Abonnement für Computerspiele, erhältlich sein soll. Was es nicht geben werde, ist ein separates Abo nur für den Flight Simulator. Weiterhin sei der Game Pass auch nicht erforderlich, um Zugriff auf alle Funktionen des Produkts zu erhalten.
Weil die Szenerie im neuen Flugsimulator via Streaming auf der heimischen Festplatte landet, stellen sich insbesondere deutsche Flugsimulator-Piloten die Frage, ob die eigene Internetverbindung für den Betrieb überhaupt ausreicht. Hier gibt Jörg Neumann Entwarnung: Mit einer Downloadrate von drei bis vier Megabyte pro Sekunde soll bereits eine gute Darstellung der Welt möglich sein.
Wer eine eher schwache Internetverbindung hat, darf sich außerdem auf kontinuierliche Verbesserungen der Szenerie freuen. Weil der neue Microsoft Flight Simulator seine Daten auf der Festplatte zwischenspeichert, müssen beim erneuten Überflug eines Gebiets nämlich nicht noch einmal die selben Daten gestreamt werden. Stattdessen lädt der Simulator dann zusätzliche Details aus der Cloud nach.
Selbst für den höchsten Detailgrad soll niemand eine moderne Glasfaserverbindung benötigen. Stattdessen sei eine Downloadgeschwindigkeit von gerade einmal zehn Megabyte pro Sekunde vollkommen ausreichend, so Jörg Neumann. Wie das dann im Praxisbetrieb aussieht, wird sich freilich noch zeigen müssen.
//
Sascha Schreck und Frank Kuhn für flusinews.de
Meinung dazu? Direkt zu den Kommentaren springen.
Unsere Faktensammlung basiert auf den bisher veröffentlichten Videos und Microsoft und Asobo sowie diversen Interviews mit dem Projektleiter Jörg Neumann. Die Korrektheit dieser Informationen können wir daher nicht gewährleisten.
Die Screenshots in diesem Artikel stammen von Microsoft sowie von den Benutzern LookedUnicorn95, dhswampash, SoapyDiamond333, Tuckie4982 und Latrine10.